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Stau´n wir mal

Nichts geht mehr auf deutschen Autobahnen. Weil gebaut wird wie wild, steckt das halbe Land fest. Schuld daran sind schlechte Planung und miserables Baustellen-Management, meint Brigitte Haschek.

Menschen hasten mit Koffern über die Äcker, andere hocken resigniert im Gras, und mancher verharrt stoisch in seinem glutheißen Auto. Hilfsbereite Menschen teilen Wasser mit jenen, die keines haben. Was anmutet wie eine Szene aus einem Katastrophenfilm, war am 27. Juli Realität auf der B 27.

Dort reichen schon die vorhandenen zwei Fahrspuren kaum aus, um das Verkehrsaufkommen zu bewältigen. So fielen Pendler, die zur Arbeit strebten, und Flugpassagiere aus dem südlichen Baden-Württemberg, die vom Stuttgarter Flughafen abheben wollten, an diesem Montagmorgen aus allen Wolken: Ohne konkrete Vorwarnung war die B 27 wegen Fahrbahnerneuerung auf eine Fahrspur reduziert worden – der Verkehr staute sich von Pliezhausen bis zur Ausfahrt Flughafen auf fast 30 Kilometern. Reisende versuchten – meist vergeblich –, zu Fuß mit ihren Koffern noch rechtzeitig die Terminals zu erreichen. Autofahrer waren bis zu sechs Stunden im Schleichgang unterwegs. Während sich die Verantwortlichen im Stuttgarter Regierungspräsidium und in der Straßenverkehrsbehörde zunächst völlig überrascht gaben, mussten sie bald Fehler einräumen – man habe die Tragweite unterschätzt. Das B 27-Chaos ist symptomatisch für die Defizite bei der Baustellenplanung quer durch die ganze Republik. Allein auf deutschen Autobahnen gibt es derzeit rund 300 Baustellen – nahezu jeder zehnte Autobahnkilometer ist deshalb nur eingeschränkt befahrbar. Tendenz steigend: Seit der Jahresmitte fließen zusätzlich 1,8 Milliarden Euro aus den beiden Konjunkturpaketen in die Reparatur und den Ausbau der deutschen Autobahnen und Bundesstraßen.

Dank der Konjunktur-Spritzen und der gestiegenen Einnahmen aus der LKW-Maut kommt mehr Geld denn je dem Straßenbau zugute. Und das ist richtig so, denn längst leidet das deutsche Fernstraßennetz unter chronischer Verstopfung – jeder zwölfte Autobahnkilometer ist permanent überlastet. Geradezu unprofessionell ist dagegen, wie die dringend notwendigen Straßenbau-Investitionen gemanagt werden. Auf Deutschlands Autobahnbaustellen stehen die Bagger und Baumaschinen die meiste Zeit still – und die Autofahrer im Stau. Von 168 möglichen Wochenstunden wird lediglich ein Drittel der Arbeitszeit ausgeschöpft. Dies musste sogar die Regierung auf eine Anfrage im Bundestag hin einräumen. “Vielen Dank für Ihr Verständnis” heißt es so schön auf den Schildern, die am Straßenrand über die jeweilige Buddelei informieren.

Nein, Verständnis haben wir nicht mehr: Warum, verflixt noch mal, wird etwa im Sommer nach acht Stunden Feierabend gemacht, anstatt mit einer zweiten Schicht bis zum Sonnenuntergang zu arbeiten? Unsinnige Praxis ist, dass die Bautrupps erst wieder anrücken, wenn Zehntausende Pendler unterwegs sind. Unverständlich ist deshalb auch, dass Nacht- und Wochenendschichten nicht die Regel, sondern die Ausnahme sind.

Wenn nichts mehr geht, kostet das unendlich viel Geld: Wartezeiten im Stau summieren sich auf einen volkswirtschaftlichen Schaden von rund 122 Milliarden Euro pro Jahr. Und das ist ein Vielfaches mehr, als die betriebswirtschaftlichen Kosten für Bund und Länder, wenn sie bei den Bauarbeiten auf die Tube drücken würden.

Tempo wird indes an anderer Stelle gemacht: Da die Konjunkturhilfen die Wirtschaft jetzt ankurbeln sollen und nicht erst nach der Krise, muss das Geld schnellstmöglich verbaut werden. Fatale Konsequenz: Selbst die Hauptreisetage sind deshalb nicht mehr für die Bautrupps tabu, wie ansonsten üblich. Der Sommer des Jahres 2009 hat also das Zeug dazu, als Megastau-Saison von sich reden zu machen. Allen Autofahrern, die in der Hitze Stehvermögen beweisen müssen, zum schwachen Trost: Am 11 Juni wurde in der brasilianischen Region um Sao Paolo ein Stau von sage und schreibe 293 Kilometern registriert.

Gelesen in der auto, motor und sport vom 13. August 2009, Heft 18